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Kulturrevolution

 

CHINA / KULTURREVOLUTION

21.11.1966 Spiegel Ausgabe 48/1966   pdf Bild anklicken

Brutal sein

Die Gäste kamen ohne Gepäck. Sie brachen über das "Nanfong"-Hotel in Kanton herein, schwenkten rote Bücher, tobten durch die Zimmer und beschimpften die Hotelbediensteten. Dann klebten sie ein Plakat mit roten Schriftzeichen an den Eingang.Darauf stand: "Das Nanfong-Hotel stinkt nach bürgerlichen Ideen. Wir fanden hier immer noch Leute mit dick gepuderten Gesichtern und öligen Halbstarken-Haartrachten. Andere tragen ausländische Kleider und spitze Schuhe. Werft diesen Dreck binnen 48 Stunden hinaus!

"Die "Nanfong"-Stürmer waren Teenager beiderlei Geschlechts aus der Ersten Mittelschule der südchinesischen Millionenstadt. Sie nannten sich "Satans -Schläger" und zählten zu jenem Zehn -Millionen-Heer jugendlicher Fanatiker, die seit drei Monaten durch das riesige Reich der Mitte rasen, die nach ihrem eigenen Glaubensbekenntnis "die alte Welt auf den Kopf stellen, sie in Stücke schlagen und ein Chaos stiften" wollen: "Je größer, je besser."

Es ist Maos Rote Garde, die Sturmtruppe, mit der Chinas greiser gelber Gott sein letztes Gefecht schlagen will-

die "Große Proletarische Kulturrevolution". 

In meist blauen oder olivfarbenen Uniformen, am rechten Arm eine rot goldene Binde, verließen sie Fabriken und - mitten in der Ernte - Volkskommunen. Landwirtschaft und Industrie-Produktion erlahmten. Die jungen Arbeiter fluteten als Rotgardisten zu Zehntausenden durch Städte und Gemeinden. Sie lärmten Tag und Nacht mit Sprechchören und revolutionären Songs, mit Zimbeln, Trompeten und Gongs.

Unter diesen Klängen stürzten sie alte Götter jeder Art: Sie schlugen Buddha -Statuen die Köpfe ab, verwandelten Pekings größte Moschee in einen weltlichen Kultur-Palast, rissen Christenkreuze von den Wänden, vertrieben acht Nonnen aus Pekings letzter Ausländer-Schule; eine davon starb bei der Ankunft in Hongkong.

Der Gardisten-Haß schonte auch die kleinen Götter der Massen nicht. Rauchen, Alkohol, Schachspielen, Briefmarkensammeln und Blumenzüchten wurden zu perversen Neigungen erklärt.

Die jungen Roten forderten die Schließung der Zoologischen Gärten, denn "dort fressen schädliche Tiere Fleisch, das dem Volk als Nahrung dienen könnte".

Kulturkritisch verrissen sie das klassische Ballett: "Seht es euch an! Liebelei in den Palästen der feudalen Herrscher, Rendezvous leichtbekleideter bourgeoiser Fräulein und ihrer Kavaliere, schöne Frauen, kollektive Spiele und Amüsements von Jugendlichen - was soll das alles?"

Sie jagten die Fremden wie zu Zeiten des Boxeraufstandes - und praktizierten damit chinesische Tradition. Ausländer wurden auf offener Straße geschlagen, auch wenn es einwandfrei Rote waren. So bezogen zwei Militärattaches der DDR Prügel, als sie sich der von drohenden Massen umlagerten Sowjet -Botschaft in Peking nähern wollten; nicht besser erging es zwei Konsulatsbeamten aus der Vertretung des einzigen China-Freundes Albanien.

Die roten Stürmer verbrannten Bücher, die nicht von Mao stammten, und forderten, derartiges Papier in "Rohstoff-Verwertungsstellen" abzuliefern. Liebespaare wurden von den Parkbänken gestoßen, weil sie jemand anderen als Mao im Herzen hatten. Poststempel auf Briefmarken mit Mao-Kopf zu klatschen, wurde als despektierlich verboten.

Die Garden durften tun, was den Halbstarken der ganzen Welt verwehrt ist: Reiche verprügeln, Lehrer aus den Schulen und Beamte aus den Ämtern jagen, Denkmäler zertrümmern und Museumstüren vernageln, Frauen das lange Haar von den Köpfen scheren und ihnen hochhackige Schuhe von den Füßen reißen.

23 Gardisten-Gebote verkündeten eine neue Sozialmoral, zum Beispiel:

- Handarbeit für jedermann,

- Mao-Zitate statt Neon-Reklame

,- Abschaffung der Bankzinsen,

- Ächtung von Schmuck, Parfüm und nichtproletarischen Kleidungsstükken,

- Verbot der Ersten Klasse in der Eisenbahn, luxuriöser Autos und Taxis

,- Vernichtung von Photos "sogenannter hübscher Mädchen".

Ihre jüngste Parole verlangt, die christliche Zeitrechnung aufzuheben. Der neue Chinesen-Kalender soll mit dem Jahre 1818 beginnen, dem Geburtsjahr des Deutschen Karl Marx.Sie schmähten ihre Feinde als Ratten - und wer Ratte ist, bestimmten sie selbst. Sie versprachen, diese Feinde "so zusammenzuschlagen, daß sie sich nie mehr erheben".

Und sie gelobten: "Wir müssen brutal sein. Denn Feinfühligkeit gegenüber dem Feind bedeutet Brutalität gegenüber der Revolution."Sie terrorisierten die Chinesen in Peking, Kanton und Schanghai, aber Furcht vor den roten Rotten befiel auch die Bürger in Moskau, Paris und New York. Denn die Rotgardisten versprachen: "Wir wollen nicht nur die Reaktionäre in unserem Land vernichten, sondern die Reaktionäre in der ganzen Welt. Wir werden ihnen die Hundeschädel zerschlagen."

Das Gespenst asiatischer Horden, die zu Dschingis-Khans Zeiten über die Welt hereinbrachen, stand wieder auf. Europäer und Amerikaner sahen ihre Kinder als Kulis der Gelben.Denn das Volk, dessen Jugend der Welt den Krieg erklärte, stellt über ein Fünftel der Menschheit. Sein Territorium, fast so groß wie ganz Europa, ermöglicht es ihm, Atomraketen im eigenen Land auf Testflug zu schicken. Es hat eine der ältesten Kulturen der Menschheit entwickelt und als einzige Nation seine kulturelle, geistige und politische Tradition über vier Jahrtausende nahezu ungebrochen bewahrt. Die Chinesen, die Papier, Schießpulver und Rakete lange vor den Europäern erfanden, fühlten sich den Abendländlern stets gleichwertig oder gar überlegen.

Londons seriöser "Economist" entsetzte sich jetzt auf der Titelseite über die Kulturrevolution: "Das ist der dritte Weltkrieg." US-Außenminister Rusk warnte, die USA seien zum Krieg mit China bereit. Papst Paul VI. sah in den Roten Garden "ein Zeichen des Todes".Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" spürte bei den deutschen Bundesbürgern ein "Gefühl des Gruselns" auf. In Amerika warb ein Neger für die Bewaffnung der Farbigen zur Lösung des Rassenproblems "nach dem Vorbild der Roten Garde". In Berlin wünschte Kabarettist Wolfgang Neuss seinen Volksgenossen "ein bißchen Rote Garde".

Die schlimmsten Verwünschungen gegen die wildgewordenen Gelben wurden in Moskau laut. Dort hatten Ende Oktober 41 chinesische Studenten im Schatten der Lenin-Hügel den Prolog des Aufstandes gegen die einstigen Genossen geprobt. Von der Sowjetregierung ausgewiesen, versuchten sie, am Lenin -Mausoleum und am Grabe Stalins Kränze niederzulegen. Die Revolutions -Lieder "Der Osten erglüht" und "Mao ist unser Steuermann" gellten über den Roten Platz.

Die gelben Gäste beschuldigten die Genossen Gastgeber "grausamer faschistischer Verfolgung": Sie seien in den verrottetsten Lehranstalten - meistens in Sibirien - untergebracht und ständig von Geheimpolizisten beschattet worden. Versuche, ihr Essen mit Quecksilber zu vergiften, sowie nächtliche Überfälle durch "Gangster" seien an der Tagesordnung gewesen.

Moskau beschuldigte seinerseits die Rotgardisten, sie bereiteten den dritten Weltkrieg vor und seien "auch bereit, ihn zu führen". Ihre Proletarische Kulturrevolution habe weder mit Proletariat noch mit Kultur und am allerwenigsten mit Revolution zu tun.Mit Parolen und Singsang zum Lobe Maos fuhren die letzten China-Studenten mit der Transsibirischen Bahn vom Gleis 2 des Jaroslawler Bahnhofs in Moskau ab. Aus allen Fenstern schwenkten sie das Brevier ihres Ordens, das Pekinger Pressen pausenlos in einer Auflage von 35 Millionen Exemplaren drucken: ein in revolutionäres Rot gebundenes Buch, mit geprägtem roten Stern auf dem Plastik-Einband und einem Mao-Bild auf der ersten Seite Seidenpapier.

Mit den Millionen roten Bibeln und den Millionen roten Gardisten will Mao den neuen kommunistischen Menschen schaffen und die Welt umkrempeln - im letzten Augenblick. Denn wie viele alte Männer vor ihm, sieht auch der greise Mao an der Schwelle des Todes sein Werk gefährdet.

Er ist wahrscheinlich einer der erfolgreichsten Politiker dieses Jahrhunderts, der "bedeutendste lebende Zeitgenosse" (Asien-Expertin Lily Abegg). Er hat das schier Unmögliche möglich gemacht: Er hat China in kaum zwei Jahrzehnten aus der halbkolonialen Sklaverei zur Großmacht emporgehoben. Er rang der Weltmacht Amerika in Korea das erste Remis der US -Kriegsgeschichte ab und zwang aus Stalin das Geständnis heraus: "Im Falle Chinas haben wir uns geirrt."

Er erreichte das alles in lebenslangem revolutionären Kampf mit dem Gewehr in der Hand. Aber als er gesiegt hatte, begann er zu fürchten, daß alles umsonst gewesen sein könnte. Als Ausweg sah er nur die permanente Revolution.Der Greis wird von einem Trauma verfolgt: Wenn das revolutionäre Feuer erlischt, werden die 700 Millionen Chinesen zurückfallen in Selbstzerfleischung und Unterwerfung unter das Ausland, in die alte Agonie, aus der er sie herausgeführt hat.Als Mao 1893 geboren wurde, verendete das alte China unter den letzten korrupten Kaisern. Hatten die Chinesen gegen ihre europäischen Protektoratsherren aufgemuckt, waren Strafexpeditionen gefolgt, wie jene unter Kaiser-Deutschlands Generalweltmarschall Waldersee nach dem Boxeraufstand (1900).

Der junge Mao teilte den Haß der Jugend Chinas gegen die "fremden Teufel", gegen die einheimische Regierung, die ihnen nicht widerstand, und gegen die ältere Generation, die Chinas Ohnmacht konservierte.18jährig focht er für die Revolution von Sun Jat-sen, der 1911 die chinesische Republik begründete. Aber es war nur eine halbe Revolution. Das Feudalsystem blieb, die ausländische Bevormundung dauerte an. 28jährig begründete Mao mit zwölf Genossen in einer Dschunke auf einem See bei Schanghai die Kommunistische Partei. Wieder revoltierte er - gegen die nationalistischen Republikaner unter Tschiang Kai-schek.

Er war 42, als für die damals noch übersichtlichen Scharen der gelben Kommunisten die Existenzkrise hereinbrach: 300 000 Kommunisten, Soldaten mit ihrem Familien-Troß, marschierten ein Jahr lang auf dem Rückzug vor Tschiang Kai-schek 10 000 Kilometer weit, über 5000 Meter hohe Berge, gegen Hunger und Seuchen kämpfend, quer durch China. Nur jeder zehnte überlebte und verbarg sich in Erdhöhlen der Provinz Schensi.Die Führer von damals sind heute die Herren Chinas - und länger als die roten Führer Rußlands waren sie eine verschworene Gemeinschaft, deren Ideenwelt die Heldenzeit des Langen Marsches blieb.

Mit dem "unüberwindlichen Elan revolutionärer Volksmassen" (Mao) eroberten sie China und preßten es in neue Formen: Sie schafften die Pachtsklaverei ab und beseitigten damit die für ganz Asien typische Unterbeschäftigung in der Landwirtschaft. Ein modernes Schulsystem senkte die Analphabetenrate innerhalb eines halben Jahrzehnts von 90 auf etwa 10 Prozent. Ein Feldzug gegen Ungeziefer brach die Macht der Seuchen. Revolutionärer Terror, dein Millionen Menschen zum Opfer fielen, vernichtete die traditionelle Korruption.

Schon ein knappes Jahrzehnt nach dem Sieg hatte Mao das zerrissene, verwüstete China geeint, wiederaufgebaut und zu ungeahnter Macht erhoben.Niemand verhungerte mehr im klassischen Hungerland China. Zum erstenmal seit Menschengedenken hatten alle Chinesen ein Dach über dem Kopf und Kleider am Leib. China schickte sich an, Industriemacht zu werden; Weltmacht war es bereits geworden. Maos Staat- im Krieg und Bürgerkrieg verwüstet,ausgeblutet und aus dem Nichts gestampft - hatte in wenigen Jahren mehr erreicht als Lenins, Stalins und Chruschtschows Rußland in Jahrzehnten.

Das alles war gelungen, weil Mao den revolutionären Elan der Bürgerkriegszeit auch für den Feldzug gegen Rückständigkeit, Egoismus und Chaos erhalten hatte. Der Geist des Langen Marsches, eines puritanischen, kämpferischen Ur-Kommunismus, hatte selbst die größten Hindernisse beiseite gefegt.

Doch die kampfgewohnten Berufsrevolutionäre waren wenig geeignet, das Erreichte zu stabilisieren. Kleinarbeit in der Verwaltung von Staat und Industrie war nicht ihr Metier. In Rußland hatte Stalin die Revolutionselite ausgeräumt und durch Bürokraten ersetzt, deren Geschäft es nicht ist, aufzubegehren, sondern zu funktionieren. Die Revolution mußte aus Staatsräson ihre Kinder verschlingen.

Anders Mao. Der Bauernkrieger verachtete den revolutionären Feierabend in den kommunistischen Bruderländern, von denen er nie allzuviel gehalten hat. Er beschloß, daheim noch tiefer zu pflügen.1957 entfachte er einen Sturm - den ersten einer Reihe von selbstentfachten Stürmen, die sich letztlich gegen ihn drehten. Der große Revolutionär begann, sein eigenes gigantisches Werk zu demontieren, weil er von der Revolution nicht lassen konnte.

Unter der poetischen Parole "Laßt hundert Blumen blühen" ermunterte er seine Landsleute zu Diskussion und Kritik an der Führung. Sein Ziel: "ein Feldzug zur Richtigstellung der Partei".Der Feldherr wollte damit die Partei von Berufs-Apparatschiks befreien und in puritanisch-revolutionäre Gangart zurückzwingen. Aber nun sahen jene ihre Chance, die sich nur der roten Gewalt gebeugt, aber sich nie zu ihr bekehrt hatten. Sie nutzten die Gelegenheit, gegen die freudlose Strenge des Kollektivs, also gegen das System selbst, aufzubegehren. Sie stürmten Parteilokale, verprügelten Bonzen, schrien "Hängt die Kommunisten" und lästerten sogar: "Schlagt Mao tot".

Schon fünf Wochen nach Verkündung der Kleinen Freiheit war es den bestürzten Parteibürokraten ein leichtes, den Führer zum Rückzug zu bewegen.Das Parteiorgan "Volkszeitung" log sich die These zurecht, die Kampagne der hundert Blumen habe von Anfang an nur den Zweck verfolgt, "die giftigen Gewächse emporschießen zu lassen, um sie besser ausjäten zu können". Die Partei ließ gründlich jäten: Im Pekinger Volkspark wurden - nach langer Zeit wieder - einige Konterrevolutionäre öffentlich zum Tode verurteilt.Schon ein Jahr später, nach der größten Ernte in der Geschichte Chinas, holte der Dauerrevolutionär zu einem neuen Schlag aus. In einem einzigen "Großen Sprung nach vorn" sollte China ein idealkommunistisches Gemeinwesen werden.

700 Millionen Chinesen zogen als klassenlose blaue Ameisen in 30 000 Volkskommunen ein. Sie aßen in Kantinen, schliefen in Gemeinschaftsbarakken und lieferten ihre Kinder in Gemeinschaftskindergärten ab. Aller Besitz bis zum Kochtopf war als Gemeineigentum in die Kommune einzubringen. Dafür sollte es alles umsonst geben: Essen, Kleidung, Arzt und Haarschneiden.

Die Utopie blieb Utopie. Die Welt lachte über Mini-Industrien und Hinterhof-Hochöfen der Volkskommunen, in denen Bauern Eisen schmelzen wollten. Ungeheures Volksvermögen wurde geopfert, China um Jahre zurückgeworfen.Wiederum war es der Parteiapparat, der den sinnlos flackernden Revolutionsbrand eindämmte. Die Städte und Industriegebiete wurden vom Kommunenzwang ausgenommen, Exzesse verboten. Die Bauern durften etwas Privatland behalten und dessen Produkte auf dem freien Markt verkaufen.

Der Große Sprung nach vorn hatte in einem Fiasko geendet. Mao trat als Staatspräsident zurück.An seine Stelle rückte der Parteibürokrat Liu Schao-tschi, bisher Chinas Nummer zwei. Die Elite der chinesischen Kommunisten, die geschlossene Führer-Garde des Langen Marsches, die niemals so brutal wie Moskaus Original -Revolutionäre gesäubert worden war, verkraftete dieses Ergebnis nicht. Sie spaltete sich in Fraktionen. Liberale Experten, als Revisionisten verschrien, wollten sich künftig in Politik und Wirtschaft mehr an der Wirklichkeit orientieren, linke Dogmatiker wollten ihre ideologischen Versuche um jeden Preis fortführen.

Trotz der Erfahrung mit dem Großen Sprung behielten die Dogmatiker unter Berufung auf Mao zunächst die Oberhand. Der liberale Verteidigungsminister, Marschall Peng Teh-huai, Kommandeur des Chinesen-Korps im Koreakrieg, der Chinas Partisanen-Miliz in ein modernes, hochtechnisiertes Berufsheer umwandeln wollte, mußte gehen. Lin Piao trat an seine Stelle. Die Soldaten blieben revolutionäre Partisanen.1960 begann der Dogmatiker Peng Tschen, Parteisekretär von Peking und Regisseur der Volkspark-Urteile gegen Konterrevolutionäre, das Feuer auf die roten Brüder in Moskau. Peking eröffnete den osteuropäischen Moskau-Satelliten die Möglichkeit, sich aus dem Griff des Kreml zu lösen, und bot sich den Proletariern der Welt als Alternative zum bisherigen roten Mekka an.

Das Beispiel Chinas, sein selbsterkämpfter Aufstieg zur Weltmacht, imponierte den Asiaten, Afrikanern und Lateinamerikanern.Im Oktober 1964 zündeten die Chinesen ihre erste selbstgebastelte Atombombe. Sie trug dazu bei, den China-Feind Chruschtschow in Moskau zu Fallzu bringen. Die andere Feindmacht, Amerika, geriet in den Dschungeln Indochinas in einen großen Krieg gegen gelb angelernte rote Guerillas.Im 100-Millionen-Reich Indonesien drängte die chinesisch dirigierte KP den linksdralligen Präsidenten Sukarno zur Achse mit China. Schon zog über Asien der Schatten einer revolutionären Gegen-Uno aller Farbigen auf. Schon sah Peking-Premier Tschou En-lai den "Ostwind den Westwind besiegen". Schon triumphierte Peng Tschen: "Wie ein Büffel, der in ein Flammenmeer hineinrennt, wird der Imperialismus unvermeidlich verbrennen." China stand imZenit seiner Macht.

Aber wieder kannten Chinas Führer kein Maß. Als Gast verkündete Tschou im Schwarzen Kontinent, Afrika sei "reif für die Revolution". Die Gastgeber erschraken, denn Opfer solcher Revolutionen konnten nur sie selber werden. Die Schwarzen Ghanas, Dahomeys, Obervoltas, Burundis und der Zentralafrikanischen Republik jagten die gelben Sendboten des Aufstands aus dem Land. Sambia verbat sich eine Tschou-Visite; Präsident Houphouet-Boigny von der Elfenbeinküste verglich Chinas Revolutions-Propheten mit "räudigen Hunden".

Amerika schickte seine ganze Macht gegen die vietnamesischen Guerillas vor Chinas Haustür ins Feld. Die Sowjet -Union lockte die roten Brudervölker mit Rubeln wieder an die russische Mutterbrust. Selbst Nordvietnam und Nordkorea gingen auf Neutralitätskurs zwischen Moskau und Peking.

Im Frühjahr 1965 besuchte Dogmatiker Peng Tschen die indonesische Hauptstadt Djakarta und ermunterte die Insel -Kommunisten zur Machtübernahme. Im Herbst versuchten sie es - und scheiterten. Kommunisten und Chinesen starben in Indonesien zu Hunderttausenden unter den Knüppeln und Macheten nationalistischer Jugendhorden. Denn die Jugend, vor allem die studentische Jugend, stellt im Asien von heute die Avantgarde von Revolution und Konterrevolution: die, linksradikal& Bewegung "Zengakuren" in Japan, die bewaffneten Pimpfe des früheren katholischen Diktators von Südvietnam, Diem, reaktionäre und revolutionäre Studenten in Indien und auch Maos Rote Gardeh.

Achsenpartner Indonesien schwamm weit nach rechts. China sah sich isoliert und eingekreist: 17 Jahre nach Gründung der Volksrepublik hat der volkreichste Staat der Welt Beziehungen zu kaum einem Drittel aller unabhängigen Nationen der Erde, er blieb von der Uno ausgeschlossen.Den Tod vor Augen, stand der greise, kränkelnde Führer Mao vor den Scherben seiner weltrevolutionären "Außenpolitik. Im Innern sah er in das ihm widerwärtige Antlitz revisionistischer Restauration. Denn während Weltrevolution geprobt wurde, hatten sich in Kultur und Wirtschaft revisionisfische Rote festgesetzt.

Liberale Literaten verfaßten Lästerstücke. In Fabeln aus der Feudalzeit forderten sie - bejubelt von Intellektuellen und Bauern - die Auflösung der Kommunen, Rückgabe des enteigneten: Landes an die Bauern und Gedankenfreiheit: ein revisionistisches Programm.Revisionistische Ökonomen nutzten die Kommunen-Katastrophe zu kapitalistischen Versuchen. An der Pekinger Universität lehrte der Nationalökonom -Sun Jeh-fang: "Die Politik über die objektiven Gesetze der Wirtschaft zu stellen - das ist die Ideologie träger Menschen." Sein Rezept: Freie Hand den Betriebsleitern, Einführung Von Gewinnen.

Sun: "Ich gehe noch weiter als (der liberale sowjetische Wirtschaftsprofessor) Liberman."Auch in der Praxis gingen chinesische Ökonomen oft weiter, als Liberman auch nur zu träumen wagte: Sie stellten die enteigneten Kapitalisten oft als Betriebsleiter in deren einstigen Fabriken an - der Staat zahlte ihnen für die Enteignung weiterhin fünf Prozent Dividende. Die so human geschaßten Kapitalisten - allein in Schanghai gibt es noch 90 000 - bezogen oft Millionen-Erträge aus ihren früheren Firmen, leisteten sich Paläste mit Dienerschaft und ließen sich in Mercedes-Limousinen umherchauffieren.Mao sah das fortschrittliche Reich der Mitte nach Sowjet-Vorbild zum Sozialdemokratismus degenerieren.

Menschen mit kleinbürgerlichem Besitzstreben sind als Partisanen für eine völkerbefreiende Weltrevolution untauglich.Noch einmal raffte sich der alt gewordene Revolutionär auf, um Werk und Erbe in seinem Sinn zu retten, um den Traum seiner Jugend vom neuen Menschen in einer neuen Ordnung doch noch zu verwirklichen.Maos magischer Mensch soll Soldat, Arbeiter, Bauer, Dichter und Kulturkritiker sein - alles zugleich. Er steht am Schraubstock, sät und erntet, übt an Granatwerfern, schreibt Gedichte und liest Mao Tse-tung. Um ihn zu schöpfen, blies Mao zum letzten Gefecht und verkündete die Große Proletarische Kulturrevolution.Sie begann im November 1965 mit einem Feldzug gegen die konterrevolutionären Literaten und Lehrer, die ketzerischen Journalisten und pragmatischen Wissenschaftler. Erstes Opfer des Kulturkampfs wurde der Dichter-Professor Wu Han, in der Parteihierarchie Stellvertreter von Peng, Tschen als Bürgermeister von Peking.

Doch Maos Initialzündung setzte bald Kräfte frei, mit denen er nicht gerechnet hatte. Chinas Kulturrevolution artete, kaum begonnen, in einen wüsten Machtkampf aller Fraktionen um das Erbe des Vaters der Revolution, in eine Partisanenschlacht der Nachfolger aus. Nach vorn schob sich sogleich der Mann mit den stärksten Bataillonen: Verteidigungsminister Lin Piao, 58, Herr über drei Millionen Soldaten und 20 Millionen Volksmilizionäre. Sein erster Streich fällte den Aufpasser, den ihm die Partei zur Seite gestellt hatte, den Generalstabschef Lo Jui-tsching: Der langjährige Polizeiminister galt als Chinas Berija. Dann durchforstete die Armee die zentrale Propaganda-Abteilung des Parteiapparates. Sie wechselte nahezu Mann für Mann aus.

Der Säuberung fielen auch Kultur- und Propagandaminister Lu Ting-ji und sein Vize Tschou Jeng zum Opfer.Der dogmatische Chef der Parteiorganisation von Peking, Peng Tschen, fiel als prominentestes Armee-Opfer. Er stand weit oben in der chinesischen Machtpagode und hatte als einer der Mao-Nachfolge-Kandidaten gegolten.Die Hexenjagd dehnte sich auf das gesamte Pekinger Stadt-Parteikomitee aus, eine "Gruppe von Despoten und Höllenfürsten" ("Armeezeitung"). "Sie duldeten" - so das Blatt - "keine Kritik, wie ein Tiger, dessen Hinterteil niemand zu berühren wagt."Pengs Freund Liu Schao-tschi, Staatspräsident und seit 1945 designierter Erbe Maos, witterte Gefahr für seine eigene Position und seine Erbansprüche. Er hielt nach Hilfstruppen Ausschau.Da boten sich ihm die Pekinger Studenten an, die gerade damit begonnen hatten, unter der Fahne der Großen Proletarischen Kulturrevolution ihre Professoren zu relegieren. Die Partei schloß daraufhin am 13. Juni die Schulen: Die Studenten gingen auf die Straße.Am 24. Juni tauchte, von der Weltöffentlichkeit noch unbemerkt, erstmals "Hung Wei Ping" auf.

Eine "Rote Garde" der Mittelschule, die der Tsing-hua-Universität angeschlossen ist, verkündete: "Da wir entschlossen sind, uns aufzulehnen, liegt die Entscheidung nicht mehr in euren Händen! Wir wollen, daß die Luft mit Pulvergestank erfüllt wird. Wir wollen eine Menge Sprengbomben und Granaten auf euch Werfen. Wir werden euch eine große Schlacht, ein großes Ringen liefern."Wen die Kinder-Rebellen damit meinten, dokumentierten sie wenig später: "Wir erlauben nur der Linken, zu rebellieren. Es geht nicht an, einen Mittelweg einzuschlagen."Der Machtkampf in der Führungsclique drohte auf die Straße überzugreifen. Da erschien Führer Mao wieder. Er war über ein halbes Jahr lang geheimnisvoll verschwunden gewesen. Es hieß, er sei schwer krank, geistig umnachtet oder tot.

Am 16. Juli entstieg der Totgesagte den reißenden braunen Fluten des Jangtsekiang: 73jährig war der große Mao 15 Kilometer geschwommen - in der Rekordzeit von 65 Minuten. So posaunten es Chinas Zeitungen in die Welt.Radio Peking schwärmte: "An jenem Tag schienen selbst die Wassermassen zu lächeln. Die Hochrufe und die Sirenen verschmolzen zu einem gewaltigen Crescendo, das die Luft erzittern ließ."Pekings "Volkszeitung" bejubelte Maos Fähigkeit, sich über Wasser zu halten: "Unser geliebter Führer Mao ist so gesund. Das erfüllt das chinesische Volk mit Freude." Ausländische Zweifler verstiegen sich zu der Behauptung, Mao sei nicht Mao, sondern einer seiner Neffen.Unter Maos Vorsitz trat Anfang August, erstmals seit vier Jahren, das Zentralkomitee der KP Chinas zusammen und rief die Kampfhähne an der Führungsspitze zur Ordnung: "Manche Personen an der Macht greifen die Menschen hinterrücks an, verbreiten Gerüchte und verwischen den Unterschied zwischen Revolution und Konterrevolution."Ausdrücklich beschloß das Zentralkomitee: "Es ist unerlaubt, unter irgendwelchen Vorwänden die Massen oder die Studenten aufzuhetzen, gegeneinander zu kämpfen."

Um dem Machtgerangel ein Ende zu setzen, bestätigte das ZK den Armeechef - vorher Nummer sechs in der Hierarchie - als Maos Kronprinz.Lin glaubte die Machtfrage zu seinen Gunsten entschieden zu haben: Liu Schao-tschi war auf der Partei-Rangliste auf den achten Platz gefallen.Doch die "Volkszeitung" warnte: "Jene an der Macht, die dem Beschluß des Zentralkomitees entgegentreten, werden ihre Bemühungen fortsetzen, Schüler gegen Schüler, Studenten gegen Studenten aufzuhetzen."So unerhört scharf die Attacken der Partei-Fanfare auch waren, niemals nannte sie Namen. Die Feinde, denen der "Kampf auf Leben und Tod" (so die "Volkszeitung") galt, blieben im Dunkeln, der Machtkampf wurde anonym geführt.Tatsächlich brach der Sturm der Roten Garde jetzt nach der ZK-Sitzung los, und diesmal schreckte er die Welt auf.

Rotgardisten überzogen Chinas Hauptstadt mit einem Regiment des Terrors - entgegen den Befehlen des Zentralkomitees. Ihre Rotten verprügelten Diplomaten, plünderten Häuser und Tempel und durchwühlten sogar die Wohnungen von Beamten und Offizieren."Jeder am Konflikt beteiligte Parteiführer organisierte seine eigene Rote Garde", vermutete die Londoner "Times", "oder, wahrscheinlicher: Es entwickelte sich ein Wettlauf zwischen Armee und Partei um Kontrolle und Organisation der diversen Roten Garden."Lin Piao sah nur einen Ausweg: Der Armeechef ließ in China unter Oberaufsicht der Armee ein Millionenheer eigener Gardisten rekrutieren. 20 Prozent der gesamten Verkehrskapazität Chinas wurden eingesetzt, um den Jugendsturm in die Großstädte zu schaffen, die zuverlässigsten nach Peking.

Dort wurden verfeindete Rotgardisten, beide Mao auf dem Panier und äußerlich nicht zu unterscheiden, vereinzelt handgemein.Kaum jemand beachtete die feinen Garde-Nuancen: Pekings Rocker nannten sich "knallrot", die Provinzler trugen das Schriftzeichen für schlichtes Rot. Am 31. August befahl Lin die roten und die knallroten Gardisten zum großen Appell auf den "Platz des himmlischen Friedens" (Tien An Men). Auf der Tribüne wies er den Massen ihren Allvater Mao vor, der Lin - allen sichtbar - mit dem Finger auf wichtige Stellen im Manuskript der Kommandeurs-Ansprache hinwies. Lin ließ sich die Rotgardisten-Armbinde mit der Nummer eins überreichen; Regierungschef Tschou En-lai erhielt Binde Nummerzwei.Gemeinsam beschwören die beiden das rote Jungvolk: "Wir müssen den Kampf mit Argumenten und nicht mit Gewalt führen und dürfen keinen Menschen schlagen."

Die Disziplinar-Regeln der Armee, von Mao persönlich verfaßt, sollten fortan auch für Rotgardisten gelten: "Sprecht höflich! Zahlt ehrlich für alles, was ihr einkauft! Gebt alles, was ihr geborgt habt, zurück! Bezahlt alles, was ihr beschädigt habt! Werdet nicht handgreiflich und beschimpft niemanden! Nehmt euch keine Freiheit gegenüber Frauen heraus! Mißhandelt keine Gefangenen!"Maos Kulturrevolution sollte den verfeindeten Fraktionen nicht mehr als Panier im Kampf um die Nachfolge zur Verfügung stehen. Sie wurde einer "vom Zentralkomitee mit der Kulturrevolution beauftragten Gruppe" reserviert, deren Leitung Maos Privatsekretär Tschen Po-ta übernahm und der Maos vierte Frau sowie Lins Vertrauter Tao Tschu angehören.Um die Roten Garden an sinnlosem Wüten zu hindern, das Chinas Wirtschaft zu ruinieren drohte, Stillegung von Industriebetrieben und ein Verkehrschaos verursachte, verordnete Tschou En-lai ihnen, Ernteeinsatz und Fabrikarbeit. Denn: "Die Fabriken und Kommunen können sich keine Ferien leisten und die Produktion nicht um der Revolution willen einstellen."

Auf der Internationalen Kanton-Messe im Oktober zeigten die Pekinger Mandarine ausländischen Besuchern ausgesucht brave und charmante Rotgardisten und Rotgardistinnen vor. Sie dienten als Adjutanten für die Gäste.Nur nachts wurden die ständigen Begleiter zudringlich: In den Hotelzimmern der Messe-Touristen klingelte das Telephon. Zwitschernd suchten Rotgardisten die Fremden zum Maoismus zu erwekken. Wer einstieg, hatte eine lange,

Nacht - Mao-Lobgesänge ("Die Sonne der Wahrheit geht im Osten auf") sollten ihn zum Kulturrevolutionär bekehren.Chinas Kinderkreuzzug stand unter Kontrolle. Lin Piao ließ die Garde unter Aufsicht der Volksarmee täglich eine Stunde Griffe klopfen und setzte sie auf revolutionäre Diät: Nur jeweils vier Tage lang dürfen ausgewählte Rotgardisten planmäßig revoltieren. Befohlene Stoßrichtungen:- Imperialisten, denen sie mit Weltkrieg drohen;- russische Revisionisten, denen sie- auf Plakaten vor der Pekinger Sowjet-Botschaft - "die Eingeweide herausreißen" wollen;- Lins Konkurrenten in den Parteisekretariaten - von 28 regionalen Parteiorganisationen gerieten 23 in den Beschuß der Roten Garde; viele Funktionäre mußten Nachfolgern aus der Volksarmee weichen.Es war ein gnadenloser Abnützungsfeldzug der Jungscharen gegen die etablierten Funktionäre:In Nordostchina forderte die Zeitung "Heilung Kiang Jih Pao":

"Die Kulturrevolution richtet sich direkt gegen den Führungskern der Partei-Provinzkomitees. Sie muß das Artilleriefeuer gegen den Stab eröffnen."Rotgardisten der Provinz Hunan demonstrierten gegen den Ersten Parteisekretär, "weil er die Lehren Maos nicht befolgt".Der Chef des Parteikomitees von Tientsin starb, nachdem Rotgardisten ihn gezwungen hatten, bei einer Versammlung den ganzen Tag ohne Wasser in glühender Sonne zu stehen.In Futschou drangen Rotgardisten in die Parteibüros ein, durchsuchten sie, mißhandelten die Funktionäre und schnitten die Telephonleitungen durch.Wang Ne-mao, dem Ersten Sekretär der autonomen Uigur-Region in Sinkiang, wurde vorgeworfen, sich nach Moskau zu orientieren, Sinkiangs Lostrennung anzustreben und eine eigene "Rote Garde" aufgestellt zu haben; Rotgardisten forderten, ihn "bei lebendigem Leib zu verbrennen und das Parteikomitee in die Luft zu sprengen, weil es illegal die Massen aufgewiegelt hat".

In der Provinz Schensi, einstmals Ziel des Langen Marsches, gründeten Professoren und Studenten ein "Rebellenkorps der Proletarischen Kulturrevolution", das aus Protest gegen die lokalen Parteigrößen in einen Hungerstreik trat. Sie stürmten das Gebäude der Parteizeitung, weil ein von ihr veröffentlichtes Mao-Bild das Wasserzeichen "Papiertiger" enthielt.Um sich gegenüber allen Rivalen emporzuheben, schwor Lin Piao die Jugend auf den noch zu Lebzeiten zum Gott geweihten Mao ein, dessen liebster Apostel er ist, ein "niemals sich irrender Interpret der Werke Maos" (so die "Armee-Zeitung").Der Führerkult um Mao nahm orgiastische Ausmaße an. Maos Zitatenschatz - mit einem Vorwort Lin Piaos - Wurde zum Evangelium der Garden, sein Bild zum Altar, vor dem sie Litaneien zu dem "äußerst verehrten und geliebten großen Führer und Steuermann" Mao beteten. Bei allen ihren Verrichtungen denken sie an Maos Lehre (siehe Seite 128).Garden-Teenager fielen in Zuckungen und kreischten wie Kapitalisten-Teens beim Anblick der Beatles, wenn das Idol sich zeigte. Er zeigte sich - auf bisher sieben Mammut-Kundgebungen - den Massen auf Pekings Tien-An-Men-Platz. Schweigend blickte er von der Tribüne auf die Millionen, die sich zu seinen Füßen drängten, während Lin ihnen die Gebote der Revolution verlas.

Der Gott selbst sprach kein Wort - weil er seine Botschaft, wie einst der kaiserliche Sohn des Himmels, durch seine Beamten verkünden läßt, sagen die Chinesen; weil er Kehlkopfkrebs hat und nicht mehr in der Lage ist, laut zu sprechen, vermuten Beobachter.Der Sprecher der Roten Garde erstattete Mao Tse-tung Meldung: "Die junge Generation des neuen China hat ein starkes Rückgrat und sehr rote Herzen."Mao stieg von der Tribüne herab und trat unter seine Gelben. "Vorsitzender Mao und Genosse Lin Piao sehen sehr gesund und kräftig aus, das ist ein Glück für das chinesische Volk und die Völker der Welt", schrieben die chinesischen Zeitungen.In Wahrheit hält sich Chinas 72jähriger Gott nur mit Mühe aufrecht. Beim bisher größten Rotgardisten-Appell auf dem Tien An Men am 3. November wurde er zu Erholungspausen mehrmals von der Tribüne geführt. Die Farbwochenschauen über die Kulturrevolution blenden nach Sekunden wieder aus, weil sein Gesicht erschlafft. Der frühere Kettenraucher (70 Zigaretten pro Tag) pafft nur noch wenige Zigarillos, seine Hände zittern.Auch Erbe Lin ist nicht gesund. Um eine Verwundung aus dem Krieg gegen die Japaner auszukurieren, hatte er sich 1939 einer langwierigen Behandlung in der Sowjet-Union unterzogen. In Leningrad mußte er hungern, weil Deutschlands Soldaten die Stadt belagerten.

1952 holte er sich in Korea eine schwere Tuberkulose.Der Ausfall von Mao und Lin würde China in den Bürgerkrieg stürzen. Denn die nächstfolgenden Kandidaten, der im Herzen revisionistische Tschou En-lai und der dogmatische Bürokrat Liu Schao-tschi, sind durch Welten voneinander getrennt.Wenn die Millionen auf dem Platz des himmlischen Friedens vom Appell wegtreten, schreitet Mao durch die Massen zu seinem Palast auf der anderen Seite des Platzes.Am Abend kehrt er noch einmal zurück und setzt sich mit gekreuzten Beinen auf die Djinschui-Brücke, um das hoch aufschießende und dann verlöschende Feuerwerk zu betrachten, das die Aufmärsche der Roten Garden beendet.Während die Welt vor Roten Garden und roten Atomraketen zittert, bangt der alte, kranke Partisan Mao, daß Chinas Zukunft in Chinas Vergangenheit liegen könne: in Zwietracht, Ohnmacht und Anarchie. Denn der Sturm, den er entfachte, um die Revolution und ihre Ideale zu retten, zerstäubt im Gerangel der Rivalen. Die Kinder fressen die Revolution.Rotgardisten in Landestracht bei einer Parade in Pekings: "Die alte Welt auf den Kopf stellen...

Rotgardisten-Zentrale "Himmelstempel"

... sie in Stücke schlagen

 ...Rotgardist bei Wehrertüchtigung

... und ein Chaos stiften"Deutsche Expeditionstruppen beim Boxeraufstand: Nach Jahrhunderten der Ohnmacht

 ...... Aufstieg zur Weltmacht: Rotarmisten beim Langen MarschAmateur-Stahlkocher einer Kommune: In einem großen Sprung nach vorn

 ...Gratis-Friseur einer Kommune

... um Jahre zurückgeworfen

Staatspräsident Liu    Abgestiegen

Premier Tschou    Angeschlossen

Ex-Parteisekretär Peng     Abgeschossen

Verteidigungsminister Lin     Aufgestiegen

Mao-Propagandaphoto*: "Die Wassermassen lächelten"

Rotarmisten bei Schießübung: Die Kinder...... fressen die Revolution:

Rotgardistinnen bei Parade vor Mao

New York Herald Tribune

"Wie stellt man das verdammte Dingbloß wieder ab?"*

Am Nationalfeiertag, dem 1. Oktober.* Angeblich aufgenommen nach einem Langstrecken-Schwimmen Maos im Jangtsekiang am 16. Juli 1966.